COMING UP-GOING DOWN, EINE FORM LAUFEN
Multimediainstallation | 2019,
Kunstverein Wolfenbüttel
Textauszug aus der Eröffnungsrede, Kunstverein Wolfenbüttel
von Julika Bosch
....Die raumgreifende Installation öffnet unseren Blick in die Landschaft, fuehrt uns in den Nebel. Nebel ist mit der Einladungskarte, das Erste das uns begegnet und Nebel ist ja an sich ein interessantes Naturereignis: Er schließt und verriegelt den Ausblick. Die 'Sicht nehmen', das klingt bereits poetisch, etwas zu verhüllen wie ein Sehnsuchtsraum, bei Joanna Schulte ist es das Palindrom - vorwärts gelesen der Nebel, rückwärts gelesen das Leben. Mit dem poetischen Wortspiel erscheint auch das Gegenteil von Leben: Nebel als Gefahrenraum oder in der Einsamkeit. So beispielsweise bei Herman Hesse, der schreibt: „Seltsam, im Nebel zu wandern! / Einsam ist jeder Busch und Stein, / Kein Baum sieht den anderen, / Jeder ist allein.“ (H.H. Im Nebel, 1905) Wie an diesem kurzen Beispiel der Nebellandschaft angeklungen, ist darüber hinaus Landschaft Projektionsfläche von Sehnsüchten und Ängsten, aufgeladen mit Erinnerungen und Erwartungen. Und: Landschaft eignet sich im Besonderen zur Abstraktion. Das ist erstaunlich, man denkt zunächst Landschaft und Abstraktion lassen sich nicht leicht vereinbaren. Dennoch: Aus vielfältigen und heterogenen Eindrücken sich ständig wechselnder Ausblicke stellen wir Landschaft her. So wie es nicht die Natur gibt, gibt es nicht die Landschaft, sondern Landschaft ist ein abstraktes Konzept, das sich erst in unserer Wahrnehmung zusammensetzt. Sie kann Fluss/Stadt/Waldlandschaft sein. Wir schauen nicht einen Grashalm an und nennen ihn Landschaft. So kann man mit dem Philosophen und Soziologen Georg Simmel und mit dem Kunsthistoriker Richard Hoppe-Sailer sagen: "Was wir unter Landschaft verstehen, ist bereits das Ergebnis eines vielschichtigen, anschaulichen Abstraktionsprozesses." (Seiler / Simmel) Joanna Schulte nutzt die Grenze der durchlässigen Membran zwischen dem Innenraum der Installation und dem Außenraum der Natur, um solche Zwischenräume wieder sichtbar zu machen. Sie überträgt die Landschaft, die wir als gegeben annehmen, zurück in den abstrakten Raum: eine Form laufen – das ist ja ein sehr schöner Titel, man fragt sich zugleich: Welche Form? Worin besteht die Form? So wie der Blick durch den Nebel immer wieder verschlossen und geöffnet wird, werden wir in der Ausstellung durch den Installationsraum geleitet, mit Holzstegen als Leitfäden und Wellenbewegung. Dazwischen der vom Nebel gehemmte Gang. Auch die 360 Grad Soundinstallation nimmt darauf Bezug: „rechtsdrehend, linkswindend... abwärtsfallend... So werden uns die Bewegungen deutlich, in der sich ständig Formen zusammensetzen und Erkenntnisse herausbilden - beim Wandern, als Selbst- und als Naturerfahrung – in der Kunst als Abstraktionsleistung.
Vom Weg abzukommen ist durchaus erlaubt, als Gegenbewegung, auf eigenen Wegen immer wieder eine Form suchen, auch der Nebel sucht sich seine Formen und hat skulpturale Qualität. Wer seiner Leidenschaft zum Wandern oder zur Kunst Ausdruck geben möchte, kann seine Anwesenheit mit einem Stempel aus den zwei Stempelhäuschen dokumentieren. Die Häuschen dürfen geöffnet und benutzt werden, wie bei der Harzer Wandernadel. Parallel zur Ausstellung ist am 31.3. eine Wanderung geplant, deren Wegstrecke an die Form der hier vorfindbaren, abgelaufenen Grundrisse angelehnt ist. Nicht nur der Ausstellungsraum kommt so als Handlungsraum zur Geltung, in welchem unser Körper in das Geschehen eingebunden ist und sich im Raum immer wieder verortet – auch der Außenraum ist einbezogen.
In der Ausstellung verschiebt sich das Verhältnis von Präsentem, präsent Gemachtem und Erinnertem stets aufs Neue. Es gibt hier die physische Präsenz von Natur – in Holz, Laub und Geäst; Dann die simulierte Natur des künstlichen Nebels und das Abbild von Natur in der Fotografie ebenso wie den Klang, der eine geisterhaft durch den Raum fließende Präsenz erzeugt. Das Flüstern von Joanna Schulte, zieht so schnell weiter, dass wir sie selten einholen, sie uns aber immer wieder einfängt, wie ein Echo im Wald. Hallend erklingen auch die Töne von Zither, Gitarre und natürlich: einer Wandergitarre......
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GEGEBENENFALLS UND DAZWISCHEN EIN UNDEUTLCHES EBEN
Multimediainstallation | 2019/2020,
Kunstverein Nürtingen
Textauszug aus der Eröffnungsrede, Kunstverein Nürtingen
von Vanessa Charlotte Heitland
'Gegebenenfalls und dazwischen ein undeutliches Eben'. Ziemlich vage und unbestimmt und im wahrsten Sinne nebulös erscheint das, was der Titel der Ausstellung uns verheißt. Oder eben gerade nicht. Und zugegeben, gerade damit geht im ersten Moment ein gewisses Gefühl von Hilflosigkeit einher. Eine Hilflosigkeit, die uns zeigt, dass wir uns hier offenbar auf einem Terrain bewegen, das uns nicht recht geheuer scheint.
Nebel umgibt uns, verschließt den Blick und verstärkt noch dieses spürbare Gefühl des Ungewissen. Wir sind auf uns allein gestellt – herausgelockt aus eben jener Komfortzone, in der wir uns nur allzu gern im Alltag einrichten.
Auf den ersten Blick ist da nichts konkret Greifbares, das wir dankbar annehmen könnten, um Orientierung zu erlangen im Unbekannten, so wie wir es, sind wir ehrlich zu uns, doch häufig aus Bequemlichkeit tun, auch wenn mit dieser Haltung die Gewissheit einhergeht, sich freiwillig einer äußeren Vorgabe zu fügen.
Die Freiheit, die uns Joanna Schultes Installation stattdessen mitsamt ihrem Titel hier anbietet, sie öffnet uns einen ungewohnten, ja fast fremden und zunächst kaum fassbaren Raum.
Doch die Künstlerin gibt uns einen Leitfaden, anhand dessen wir uns durch diesen bewegen können. Einen Holzsteg hat sie auf den Boden gelegt. Sie lädt uns ein, ihn zu begehen. Im Nebel zu wandern. Unterwegs zu sein. Einen Blick hinter den Vorhang zu wagen. Abzuzweigen. Innezuhalten. Wahrzunehmen. Denn unsere Sinne sind geschärft. Und so weicht allmählich die anfängliche Unsicherheit einer kindlichen Neugier. Wir gehen auf die Suche. Nach Antworten auf Fragen. Was entdecken wir dort im Raum, wenn wir uns in ihn hineinbegeben? Was hören wir, wenn wir hineinhorchen in den Nebel und damit in uns selbst? Was sehen wir, wenn wir dem Weg folgen, wenn wir die Richtung und die Perspektive wechseln? Oder wenn wir gar den Weg an manchen Stellen einfach verlassen? Ja, was wäre dann?
Dann entdecken wir plötzlich Bilder von Orten, eingefangen in kleinen Diaprojektoren. Fragmente dessen, was uns umgibt im Hier und Jetzt und das dennoch plötzlich seltsam distanziert erscheint. Luftaufnahmen von Nürtingen, Ausschnitte einer vom Menschen geformten Landschaft, abstrakte Strukturen und grafische Muster. Dann wiederum begegnen uns aber auch historische Fotos von Orten, darin die Künstlerin selbst, zeitlich scheinbar weit entfernt von der realen Gegenwart und doch gleichsam im Raum präsent. Ebenso die majestätische Bergwelt Österreichs. Fern und nah zugleich. Verklärt.
Wie flüchtige Erinnerungsfetzen tauchen die Bilder aus dem Dunst auf, wie verschwommene, zeitlich verblasste Eindrücke, abstrahierte Aufzeichnungen von Erlebtem und Gesehenem. Dazwischen wir selbst oder vielmehr unser Abbild im Raum, im Jetzt, gespiegelt in diffuser Farbigkeit, nur eine Kopie der Realität in einer Art künstlichen Zwischenwelt? Was ist dieses 'Dazwischen'?
Aus kleinen Boxen kommend, durchsetzt von Tönen einer Gitarre, wabern dazu sphärisch-weiche, mal auch metallisch-hämmernde Klänge durch den Raum, bilden einen Teppich, hallen nach, im Raum, in uns. Aus dem Off dringt die Stimme der Künstlerin, sie rezitiert die Worte des Titels, setzt sie in neue Sinnzusammenhänge, hüllt uns damit ein wie der Nebel ringsherum. Zeitebenen lösen sich auf, unsere Wahrnehmung, unser Bewusstsein wird angeregt, wird sensibilisiert für die Flüchtigkeit des Moments, die Eventualität von Begegnungen.
So wird der Gang auf dem Steg, die Wanderung durch den Nebel, wenn wir uns einlassen, zur Selbsterfahrung. Zu einem sinnlichen Erlebnis, einer emotionalen Reise. Und mit jedem Schritt, den wir gehen, erschließt sich uns das Unbestimmte des Titels, offenbart sich dieses merkwürdige 'Eben', können wir die an uns gestellte Frage beantworten: das 'Dazwischen' ist eine Leere, die wir mit unseren individuellen Wünschen und Erwartungen füllen dürfen, ein Spielraum, in dem wir eigene Erfahrungen und Vorstellungen ausloten und Grenzen überwinden können. Alles ist möglich.
Ein Gedanke, der unsere Phantasie beflügelt und verborgene Sehnsüchte erweckt. .... |